Timothy Messer-Kruse:The Yankee International. Marxism and the American Reform Tradition, 1848-1876. 319 S., The University of North Carolina Press, Chapel Hill, London 1998.

Die Internationale Arbeiterassoziation, die sog. Erste Internationale, muß als eine der Geburtsstätten des europäischen Sozialismus betrachtet werden. Auf ihren Kongressen wurden in der zweiten Hälfte der 1860er Jahre die Grundforderungen diskutiert und in Beschlüsse gefaßt, die über Jahrzehnte hinweg die Programmatik der sozialistischen und kommunistischen Bewegungen in Europa beeinflußten. Kaum Beachtung fand aber bislang die Tatsache, daß die Internationale auch in den USA eine Rolle spielte. Dorthin kam sie zunächst durch europäische Einwanderer, vor allem aus Deutschland und Frankreich, die meist nicht einmal englisch sprachen. Erst als sich ihr 1870/71 eine größere Zahl von US-amerikanischen Reformern anschlossen, fand die Internationale breitere Beachtung in der amerikanischen Öffentlichkeit. Für Aufsehen sorgte namentlich Victoria Woodhull, Spiritualistin, Sozialistin und Frauenrechtlerin, die als erste Frau für die Präsidentschaft der USA kandidierte und mit ihrer Schwester, Tennessee Claflin, eine eigene Broker-Firma an der Wallstreet und die Zeitung Woodhull and Claflin’s Weekly betrieb. Auseinandersetzungen zwischen einerseits US-Reformern und andererseits Emigranten, vor allem deutschen Marxisten, blieben nicht aus und bereits Ende 1871, also noch vor dem Haager Kongreß der Internationale von 1872, kam es zum offenen Konflikt. William West, US-Reformer und Vertreter der New Yorker Sektion 12, wurde noch nicht einmal als Delegierter auf dem Kongreß zugelassen, und seine Sektion – ähnlich wie James Guillaume und Michael Bakunin – aus der Internationale ausgeschlossen, wobei Karl Marx die entscheidende Rede gegen West und die US-Reformer hielt. Der Kongreß beschloß zwar auch die Verlegung des Sitzes ihres Generalrats von London nach New York, wodurch die USA für die Internationale größere Bedeutung hätte bekommen können. Aber der durch ideologische und politische Spaltungen verursachte Niedergang der Internationale war besiegelt: 1876 erfolgte in Philadelphia ihre offizielle Auflösung.

Messer-Kruse, der an der Universität in Toledo, Ohio, lehrt, kann in seiner Geschichte der Ersten Internationale in den USA, eine Dissertation von 1994, neue Akzente setzen. Zunächst gibt er einen Überblick über die intellektuellen und religiösen Wurzeln des US-amerikanischen Radikalismus, der durch die europäischen Flüchtlinge nach 1848 Auftrieb erhalten und sich nach dem Ende des Bürgerkriegs auch der Arbeiterfrage zugewandt hatte. Im zweiten Kapitel schildert er kurz die Gründung und Geschichte der Internationale in Europa. Im Gegensatz zu den englischen Gewerkschaftsführern, die die Internationale wesentlich trugen und keinen Widerspruch sahen zwischen individueller Freiheit, Demokratie und klassenbewußter Arbeiterpolitik, setzte Marx mehr und mehr auf eine Strategie der Spaltung. In sechs Kapiteln gibt der Verf. dann einen Überblick über Gründung und Verbreitung der US-amerikanischen Sektionen der Internationale, beschreibt die wesentlichen Ereignisse, untersucht Führungspersönlichkeiten und Mitgliederbasis, schildert die ideologischen und politischen Auseinandersetzungen über Sozialreform, Frauenemanzipation und Rassenfrage.

Messer-Kruse zeigt, daß die Internationale in den USA mehr war als ein unbedeutendes Nachspiel ihrer europäischen Gründung. Vor allem verdienen seiner Darstellung nach die US-Reformer in der Internationale wesentlich mehr Beachtung, als ihnen bisher zuteil wurde. Deren angemessene Rezeption wird bis heute durch tendenziöse Darstellungen von Marxanhängern wie Friedrich Adolph Sorge, dem „father of modern socialism in America“, und Hermann Schlüter („Die Internationale in Amerika“, Chicago 1918) verstellt. Für Sorge, Generalsekretär des Generalrats der Internationale in New York, handelte es sich bei den englischsprachigen Reformern nur um „Politiker-Geschmeiß“, „Intri­guan­ten und Schwätzer“. Marx selbst hatte auf dem Haager Kongreß den US-Reformern um Victoria Woodhull vorgeworfen, sie seien lediglich „Bourgeois“, die die Internationale „mit allerlei Zeug“ belasteten, indem sie die Frauenfrage der Arbeiterfrage vorausstellen und „freie Liebe“ predigen würden. Wie Messer-Kruse überzeugend zeigen kann, handelte es sich bei diesen internen Auseinandersetzungen jedoch keineswegs um unvermeidbare Konflikte zwischen klassenbewußten Arbeitern und bürgerlichen Sozialreformern. Entscheidend sei vielmehr das Aufeinandertreffen von völlig unterschiedlichen politischen und ideologischen Vorstellungswelten und „movement cultures“ gewesen. Trotz gemeinsamer politischer Visionen von sozialer Gerechtigkeit und einer Welt ohne Grenzen und Krieg klafften Abgründe zwischen dem mechanistischen und rigiden Marxismus insbesondere der deutschen Emigranten und dem libertären Sozialismus der Yankee-Internationalen.

Während die europäischen Emigranten, vor allem die deutschen Marxisten, glaubten, auch in den USA könnten die Arbeiter ihre Zukunft nur durch militanten Kampf außerhalb der korrupten Welt gegen die existierenden Institutionen der Republik durchsetzen, waren die Yankee-Reformer Sozialisten, die sich auf die Unabhängigkeitserklärung beriefen. Sie gingen davon aus, daß durch die Partizipation der Arbeiter an dem eigentlich richtigen politischen System der USA auch deren soziale Probleme weitgehend gelöst werden könnten. Die heftig kritisierte Korruption wollten sie nicht zuletzt durch den Einbezug der Frauen in den politischen Prozeß bekämpfen, weshalb sie vehement für die Frauenemanzipation eintraten. Arbeitersache und Frauenemanzipation stand so für sie von Anfang an in einem engen Zusammenhang. Aus der amerikanischen Frauen­bewe­gung, die 1848 in Seneca Falls, New York, ihren ersten Frauenrechts­kon­vent abgehalten hatte und die begleitet war von Forderungen gegen den Zwangscharakter der Ehe, der sog. Bewegung für „freie Liebe“, gingen einige der engagiertesten Befürworterinnen der Ersten Internationale hervor. Unter den europäischen Achtundvierzigern herrschte dem­gegenüber nicht nur eine zynische Desillusionierung gegenüber den republikanisch-demo­kratischen Idealen ihrer Jugend vor, sondern sie nahmen auch gegenüber der Frauenemanzipation eine eher distanzierte und kritische Haltung ein. Wie Sorge bezeich­nen­der­weise Marx im November 1872 schrieb, hatten er und seine Gesinnungsgenossen zwar „nichts gegen das Stimm­recht der Frauen einzuwenden“. Aber sie hatten keine Lust, „Zeit dazu zu verschwenden“. Denn „das allgemeine Stimmrecht“ sei „nicht das Wundermittel ..., womit die Arbeiterfrage gelöst“ werden könne. Gegen Samuel Bernstein, dessen „The First International in America“ 1962 erschienen ist, betont Messer-Kruse den Sozialismus der Yankee-Internationalen. Deren Ziel sei durchaus die Abschaffung des Privateigentums gewesen. Sie wollten nur das Eigentum am eigenen Arbeitsprodukt, alles Eigentum darüber hinaus betrachteten sie als illegal. Sie hätten allerdings Begriffe der bürgerlichen Revolution und der Religion benutzt, um aber ähnliche Konzepte zu vertreten wie Karl Marx. Bei Messer-Kruses Studie handelt es sich um ein lesenswertes Buch, das neue Perspektiven aufzeigt und mehr als Fußnoten zur Erforschung der Geschichte der frühen amerikanischen Arbeiterbewegung hinzufügt.