Julian P.W. Archer, The First International in France, 1864-1872. Its Origins, theories and impact, (Lanham, New York, Oxford: University Press of America 1997), 347 Seiten. ISBN 0-7618-0887-6.

Antje Schrupp, Nicht Marxistin und auch nicht Anarchistin. Frauen in der Ersten Internationale, (Königstein/Taunus: Helmer 1999), 336 Seiten. ISBN 3-89741-022-2.

Veröffentlicht in: MEGA Studien 1999. Amsterdam 2002. S. 131-138.

Überraschenderweise sind in den letzten Jahren eine Reihe von interessanten Monographien zur Geschichte der Ersten Internationale schienen.[1] Die Internationale Arbeiterassoziation, gegründet 1864 in London und aufgelöst 1876 in Philadelphia, hat offensichtlich nichts von ihrer Anziehungskraft auf Historiker verloren. Die Erste Internationale muß als eine der Geburtsstätten des europäischen Sozialismus betrachtet werden. Auf ihren Kongressen wurden in den 1860er Jahren die Grundforderungen diskutiert und in Beschlüsse gefaßt, die über Jahrzehnte hinweg die Programmatik der sozialistischen und kommunistischen Bewegungen in Europa beeinflußten. Von den beiden hier zu besprechenden Studien löst die erste eine seit langem gehegte Erwartung ein und betritt die zweite Neuland. Bei der Studie Julian P. W. Archers handelt es sich um die erste umfassendere Geschichte der Ersten Internationale in Frankreich. Archer, Jahrgang 1938, Geschichtsprofessor an der Drake Universität Des Moines, Iowa, ist bisher bereits durch Aufsätze zur französischen Geschichte und insbesondere zur Geschichte Lyons im späten 19. Jahrhundert hervorgetreten. Sein Buch ist vor dem Hintergrund einer seit den 1960er Jahren sehr intensiv unternommenen französischen Forschung zu sehen.[2] Aus dieser Forschung ging keine Gesamtdarstellung hervor – trotz einiger instruktiver Aufsätze insbesondere aus der Feder Jacques Rougeries, der bereits 1964/1968 eine Gesamtgeschichte skizzierte.[3] Antje Schrupp, Jahrgang 1964, geht in ihrer Frankfurter Dissertation, die von Ute Gerhard und Iring Fetscher betreut wurde, einer Fragestellung nach, die auch Archer nur sehr am Rande behandelt, nämlich der Frage nach der Rolle von Frauen in der Ersten Internationale.

Julian P.W. Archer, The First International in France, 1864-1872. Its Origins, theories and impact.

Samuel Bernstein schrieb vor Jahrzehnten, daß die Geschichte der Ersten Internationale in Frankreich – „so overcast with vituperation, so coated in fustian and imbedded in ideological controversy“[4] – auf die ausgewogene Darstellung eines Historikers warte. Archer hat eine solche vorgelegt. In insgesamt zehn Kapiteln entfaltet er die Geschichte der Ersten Internationale in Frankreich, von ihren Anfängen in den 1860er Jahren bis zu ihrem Untergang im Jahre 1871. Archer unterscheidet dabei – in Übereinstimmung mit der bisherigen Forschung – zwei große Perioden: eine proudhonistische von 1862 bis 1868 (Kapitel 2–6) und eine zweite, radikalere, durch Streiks und Gewerkschaften bestimmte, von 1868 bis zum Untergang 1871 (Kapitel 7–9). Zurecht verweist Archer darauf, die Vorgeschichte der Ersten Internationale sei Thema für ein eigenes Buch, und beschränkt sich auf einige kurze Hinweise. Auch sein Ausblick auf die weitere Entwicklung der französischen Arbeiterbewegung nach 1871 ist kurz, zu kurz.

Nach ersten Kontakten zwischen französischen und englischen Arbeiterdelegationen im Umfeld der Londoner Weltausstellung von 1862 führten mehrere „leise Spuren“ schließlich zur Gründung der Ersten Internationale am 28. September 1864 in London. Zwischenstationen waren die Reise französischer Arbeiterdelegationen zur Londoner Weltausstellung von 1862, die Solidaritätsaktionen französischer und englischer Arbeiter mit den polnischen Aufständischen von 1863 und nicht zuletzt die Teilnahme von Arbeiterkandidaten an den französischen Parlamentswahlen. Da Archer David Rjasanovs Darstellung der Gründung der Internationale nicht herangezogen hat, ist ihm entgangen, daß es anläßlich englischer Streikbewegungen bereits vor 1862 Kontakte zwischen französischen und englischen Arbeitern gab.[5]

Die weitere Geschichte der Internationale in Frankreich schildert Archer im Rhythmus der alljährlich im September stattgefundenen Kongresse (bzw. 1865 und 1871 Konferenzen), 1865 in London, 1866 in Genf, 1867 in Lausanne, 1868 in Brüssel und 1869 in Basel, 1870 wollte man sich in Mainz treffen, 1871 in London, 1872 in Den Haag. Er schildert den Enthusiasmus, mit dem gerade die Pariser Internationalisten ihre Arbeit aufnahmen und mit dem sie auf den ersten großen Arbeiterkongreß drängten, der allerdings erst zwei Jahre nach der Gründung stattfand.

In Paris erreichte die Internationale in den ersten Monaten über 500 Mitglieder, im September möglicherweise sogar 1200. Jedoch kann sie damit – gerade im Vergleich zu den seit 1863 sich rasch ausdehnenden Genossenschaftsbewegungen – lediglich als eine in der Theorie dem Mutualismus Proudhons huldigende und in der Praxis die soziale Organisation der Arbeiter erstrebende Studiengesellschaft betrachtet werden. Zunächst spielten auch die Ideen von Charles Fourier durchaus eine gewisse Rolle, und eine Minderheit der Internationalisten waren Fourieristen, worauf bereits Michel Cordillot hingewiesen hat.[6] Obwohl bürgerliche Republikaner als Geburtshelfer gewirkt hatten, plädierten gerade die Pariser für einen Ausschluß der Intellektuellen. Sie wollten die Internationale als exklusive Organisation der Arbeiter. In der Provinz wuchs die Internationale mit Sektionen vor allem in Lyon, Caen, Rouen und Marseille nur langsam, auch wenn man nicht immer dem Pariser Pathos folgte. Die französische Polizei hatte die kleinen Diskussionszirkel zunächst bis Dezember 1867 weitgehend in Ruhe gelassen. Nach den Streiks im Frühjahr 1867 – vor allem dem von der Internationale unterstützten Streik der Pariser Bronzearbeiter – und politischen Demonstrationen im November 1867 ging die französische Polizei auch gegen die Internationalisten vor. Nach aufsehenerregenden Prozessen im März und Mai 1868 starb die Internationale in Frankreich.

Für die Wiederbelebung und Reorientierung der französischen Internationale 1869 waren nach Archer die Diskussionen in der 1867 gebildeten Arbeiterkommission und die öffentlich geführten Debatten, die nach der Liberalisierung des Versammlungsrechts im Juli 1868 einsetzten, entscheidend. Der in der Forschung bisher immer wieder betonte Führungswechsel – an die Stelle der Proudhonisten Tolain und Fribourg traten die Gewerkschafter Malon und Varlin – habe demgegenüber eine geringere Rolle gespielt. Denn es habe nur eine Gruppe alter Mitglieder eine andere Gruppe alter Mitglieder ersetzt. Während der Pariser Weltausstellung 1867 war es zur Bildung einer Arbeiterkommission gekommen, die von Juli 1867 bis Juli 1869 insgesamt 80 Treffen durchführte, deren Ergebnisse in zwei Berichten festgehalten wurden. Hier wurde die Pionierarbeit der Internationale gewürdigt. In Anlehnung an Michel Cordillot[7] betont Archer die Besonderheit dieser Arbeiterinstitution. Sie bildete eine Brücke zwischen der alten proudhonistischen Internationale und der späteren, radikaleren und stärker gewerkschaftlich und republikanisch orientierten. Zwei Mitglieder der Arbeiterkommission wurden zum Brüsseler Kongreß der Internationale delegiert. Eine politische Reorientierung beförderten aber auch die Debatten, die in Paris seit Sommer 1868 in zahllosen öffentlichen Versammlungen möglich waren.[8] Die Internationale in Frankreich beteiligte sich nun aktiv an der Bildung von Gewerkschaften und Verbänden. Sie „was away from Proudhonist thinking and toward an outlook that embraced the whole of trade union concerns“, begleitet mehr und mehr von der Überzeugung, daß die Regierung durch eine Republik überwunden werden müsse. Gleichzeitig wurden „Studiengruppen“, die sich seit Sommer Sommer 1869 in Paris bildeten, zum Ausgangspunkt des organisatorischen Wiederauflebens der Internationale. In der Provinz bildeten sich ebenfalls neue Sektionen. Nach einem Streik in Lyon sollen sich über 10 000 neue Mitglieder angeschlossen haben. Die Pariser Sektionen, Stadtteilsektionen, angeschlossene Gewerkschaften und Studienzirkel, schlossen sich im März 1870 zu einem Verband zusammen, um ihre Aktivitäten zu koordinieren. Zur Gründungsversammlung fanden sich im April 1870 rund 1200 Mitglieder ein. Die Militanz in Sprache und Verhalten hatte zugenommen, man wollte die ökonomische und die politische Ordnung verändern, man wollte eine soziale Republik. Als im Mai 1870 die Polizei zu einer Politik der Verfolgungen und Verhaftungen überging, wurde die Internationale erneut geschwächt. Im Juli 1870 fand erneut ein Prozeß gegen die Internationale statt, zahlreiche Führungspersönlichkeiten wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Der Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges und dann die Pariser Kommune führten zu einer erneuten Stimulation der Internationale. Obwohl der Zusammenbruch des Kaiserreichs seit 1869 erwartet worden war, war die Internationale letztlich unvorbereitet, als er sich tatsächlich im September 1870 ereignete. Mental waren die französischen Internationalisten zwar inzwischen auf eine Republik vorbereitet, aber nicht organisatorisch oder politisch. Eine Rolle spielten dafür natürlich die Verfolgungsmaßnahmen. Aber abgesehen davon war die Internationale zu schwach, verfügte über keine Geldmittel und war auf überarbeitete Freiwillige angewiesen, die ihre politische Arbeit neben der Berufsarbeit taten. In den sich im September 1870 bildenden republikanischen Widerstandskomitees beteiligten sich zahlreiche Mitglieder der Internationale. Im Fortgang des Krieges stellte die Internationale faktisch ihre Tätigkeit ein, die Notwendigkeiten der Verteidigung überschattete alles andere. Auch die Pariser Kommune im März 1871 überraschte die Internationale. Einzelne Mitglieder nahmen zwar teil, aber nicht die Internationale als Organisation. Trotz aller Probleme und Schwächen war die Internationale personell in einem beachtlichen Maße in der Kommune repräsentiert, 42 von 78 Mitgliedern. Die Aussagekraft dieser Zahlen darf nach Archer aber nicht überschätzt werden, da die Mitgliedschaft in der Internationale oft nur formal gewesen sei. Malon benannte später nur 23 Kommunemitglieder als Internationalisten. Nach der Niederwerfung der Kommune im Mai 1871 waren die führenden Persönlichkeiten der Internationale entweder tot oder im Exil. Die Internationale überlebte lediglich als Phantom. Fast jede Regierung in Europa leitete Verfolgungsmaßnahmen gegen die Internationale ein.

Die bisherige Geschichte der Interntionale in Frankreich wird immer wieder als Geschichte der Verdrängung des Mutualismus und Proudhonismus durch den Kollektivismus beschrieben. Archer betont, daß die Genossenschaftsbewegungen weiterhin als Sozialismus betrachtet wurden und der Kollektivismus mit diesen verwandt geblieben sei. Gerade die Diskussionen in den Zirkeln der Internationale habe dazu beigetragen, die Grenzen zwischen den sozialistischen Ideologien zu überwinden und Fundamente für ein sozialistisches Programm freizulegen. So votierte in Lausanne erstmals eine sozialistische Organisation für das Staatseigentum an zentralen Industriezweigen oder Vermögenswerten, vor allem Straßen, Kanäle und Eisenbahnlinien. Ein Jahr später, in Brüssel, wurde das Prinzip ausgedehnt auf Minen, Steinbrüche, Zechen und Wäldern. 1848 wollte man in Frankreich den Zehn-Stundentag durchsetzen. Auf dem Genfer Kongreß wurde erstmals der Acht-Stundentag gefordert. Die Begrenzung des Arbeitstages war eine Forderung, die für den Rest des Jahrhunderts Bedeutung haben sollte, aber erst nach 1918 realisiert wurde. Die Internationale war zwar offen für alle Arbeiter, aber sie fand vor allem Zuspruch unter den Handwerksarbeitern. Die Industriearbeiterschaft war nicht repräsentiert, genausowenig wie Landarbeiter und Bauern.

Ein Dauerthema war von Anfang an der zeitgenössische Vorwurf, die französischen Gründer der Internationale seien Anhänger oder gar Agenten Napoleons III. Nach Archer wurde der Vorwurf jedoch weitgehend zu Unrecht von meist bürgerlichen Republikanern erhoben. Die von Proudhon beeinflußten Pariser Internationalisten wollten die sozialen Probleme lösen und Aufklärung bringen. Sie drängten auf die rasche Durchführung eines internationalen Arbeiterkongresses, um die Fragen der Kooperation und des Mutualismus zu diskutieren. Nach Archer verfolgten sie „a pacifistic concept with revolutionary potential“ (S. 45). Auch sie seien Republikaner gewesen. Es habe Konsens geherrscht, daß Frankreich eine Republik werden müsse. Unter Napoleon III. schienen ihnen soziale Verbesserungen nicht möglich. So wie die Republik Gerechtigkeit in die politische Welt bringen sollte, so die Kooperativen in die soziale.

Die meiste Aufmerksamkeit widmet Archer den Vorgängen in Paris. Dies hat eine gewisse Berechtigung. Trotzdem kommen die Geschehnisse und Entwicklungen in anderen Städten Frankreichs nicht zu kurz. Er hat eine sehr nützliche und empfehlenswerte Gesamtdarstellung vorgelegt, auch wenn er die russisch-sprachige Forschung kaum, nur insoweit sie in Übersetzungen vorliegt, und die deutsch-sprachige überhaupt nicht rezipiert hat. Ihm blieben dadurch beispielsweise die Aktivitäten von Viktor Schily in Paris verborgen, der als Vertrauensmann von Karl Marx agierte. Dies ist im Zusammenhang mit der Frage wichtig, inwieweit die von Karl Marx verfaßte Inauguraladresse in Frankreich verbreitet war. Archer geht davon aus, daß die Adresse, die zunächst nicht ins Französische übersetzt wurde, für die französischen Internationalisten weder vorhanden noch relevant war (S. 25 und 50). Unbekannt scheint Archer zu sein, daß die von Marx oder unter dessen maßgeblicher Mitarbeit im Mai und Juni 1866 angefertigte Übersetzung in zwei Sendungen an Schily gegangen war und von diesem verbreitet worden war.[9]

Antje Schrupp, Nicht Marxistin und auch nicht Anarchistin. Frauen in der Ersten Internationale

Die Erste Internationale hatte ein ambivalentes Verhältnis zur Frage der Frauenemanzipation und insbesondere des Frauenstimmrechts. Französische Proudhonisten und zumindest deutsch-amerikanische Marxisten waren relativ vehement dagegen. Marx, der mehrfach für die Mitgliedschaft von Frauen in der Ersten Internationale eintrat, begründete auf dem Haager Kongreß 1872 den Ausschluß der US-amerikanischen Internationalisten um Victoria Woodhull auch mit dem Argument, sie hätten die Frauenfrage der Arbeiterfrage vorausgestellt. Reinhold Jaeckel resümierte 1904: „Die Internationale hat wenig Positives zur Frauenfrage geschaffen“ (zit. S. 11). In den einschlägigen Darstellungen der Internationale wird das heikle Thema oft unbeholfen zu umschiffen gesucht. So kommen auch bei Archer die heftigen Debatten über die Frauenfrage und die Beschlüsse der ersten Kongresse der Internationale zu diesem Thema, die vor allem im Sommer 1868 in Paris geführt wurden, erst gar nicht vor.[10]

Nach einem allgemeinen Überblick über die Haltung der Internationale zur Frauenfrage handelt Schrupp ihr interessantes Thema in weiteren vier Kapiteln anhand von vier prominenten Frauen ab: Virginie Barbet, Elisabeth Dmitrieff, André Léo und Victoria Woodhull. Eine umfassende Übersicht über alle in der Internationale engagierten Frauen und deren Vorstellungen war nicht Ziel der Studie. Die politischen Ideen der vier Frauen entwickelt Schrupp im Kontext der allgemeinen Debatten in der Internationale. Sie wendet sich gegen eine „additive“ Frauenforschung und möchte einen Beitrag zur „Vervollständigung“ der Forschung, zur Modifizierung der bisher üblichen Annahmen leisten, was ihr gelungen ist. Auch wenn Schrupp kein gemeinsames „Wir“ der Frauen in der Internationale feststellen kann, wirft ihre Untersuchung neues Licht auf die Internationale. Den untersuchten Frauen ging es nicht darum, nur Zugang zu männlichen Privilegien zu erhalten, sondern bei ihnen schwang der Anspruch einer radikalen Gesellschaftsänderung immer mit.

Virginie Barbet, über deren Person nur soviel bekannt ist, daß sie in Lyon eine Gaststätte betrieb, war eine der Gründungsmitglieder der Lyoner Sektion der von Bakunin beeinflußten „Allianz der sozialistischen Demokratie“. Bereits im Juli 1868 trat sie als Befürworterin von Frauenrechten öffentlich hervor. Schrupp kann die Rolle Barbets in der Lyoner Internationale und Allianz neu definieren. Nicht Albert Richard, sondern Barbet scheint für den Anschluß der Lyoner Internationalisten an die Allianz verantwortlich gewesen zu sein. So wurde bisher übersehen, daß neben Richard auch Barbet auf dem Berner Kongreß der Friedensliga, wo sie mit einer Rede hervortrat, teilgenommen und Bakunin kennengelernt hat. Sie wurde eine der wichtigsten Korrespondentinnen der Allianz-Zeitung Egalité, die Bakunin in Genf herausgab. Sie berichtete dort vor allem über den großen Streik der Lyoner Seidenarbeiterinnen im Sommer 1869. Sie verfaßte darüber hinaus mehrere Flugschriften zur Internationale. In der Internationale trat Barbet auch als Vorkämpferin für die Abschaffung des Erbrechts ein. Diese Forderung hatte für sie nicht nur eine wirtschaftspolitische Bedeutung, sondern auch eine kulturelle, da durch das Erbrecht Frauen in ganz besonderem Maß benachteiligt wurden. Nach der Niederschlagung der Pariser Kommune im Mai 1871 mußte Virginie Barbet ins Exil gehen und schloß sich in Genf der anarchistischen Opposition in der Internationale gegen den Generalrat und Karl Marx an.

Elisabeth Dmitrieff (Elizaveta Dmitrieva, auch bekannt als Tomanovskaja) stammte aus einer wohlhabenden russischen Familie. Sie war eine der Gründerinnen der marxistischen russischen Sektion der Ersten Internationale in Genf. 1870 ging sie nach Paris und soll als „citoyenne Marie“ an allen Sitzungen der Pariser Sektionen der Internationale, selbst der deutschen Sektion, teilgenommen haben. Wie aus einem Brief Viktor Schilys an Johann Philipp Becker vom 24. Juni 1870 hervorgeht, soll sie sogar „überflüssigerweise“ in einer „cartonnage-Fabrikation“ gearbeitet haben, „um als Arbeiterin zu gelten“. 1871 gründete sie in Paris mit der „Union des Femmes“ eine der stärksten Frauenorganisationen der Pariser Kommune sowie eine weibliche Sektion der Ersten Internationale. Später, nach Rußland zurückgekehrt, folgte sie ihrem in Verbannung lebenden Mann nach Sibirien und leistete Hilfe im Roten Kreuz. Dmitrieff trug maßgeblich dazu bei, die russische Exilgemeinde in Genf gegen Bakunin und die Allianz einzuschwören. Sie vertrat eine jüngere Generation russischer Revolutionäre, die Massenwirkung und nicht „ideologische Reinheit“ wollten und sich gegen Bakunins Beharren auf kleinen exklusiven Zirkeln mit radikal-revolutionärem Programm wandten. Bei dem Konflikt mit Bakunin habe es sich nicht zuletzt um einen Generationenkonflikt gehandelt.

André Léo, eigentlich Victorine-Léodile Béra, war eine bekannte französische Schriftstellerin und Feministin, als sie 1869 in Paris zur Internationale stieß. Sie unterstützte vehement die Pariser Kommune und mußte deshalb im Sommer 1871 ins Exil nach Genf gehen, wo sie eine der Initiatorinnen der antiautoritären Opposition gegen den Generalrat wurde. Nach Schrupp wurde bisher die Rolle der Komuneflüchtlinge unterschätzt und die Bakunins überschätzt. Erst durch den autoritären Verlauf der Londoner Konferenz 1871 definierten die Komuneflüchtlinge ihre antiautoritären Ideen auch in Opposition zum Generalrat der Ersten Internationale. Bakunin habe mit dieser Wendung kaum etwas zu tun gehabt. Treibende Kräfte seien vor allem André Léo und James Guillaume gewesen. Es sei eine Fehleinschätzung von Marx und Engels gewesen, Bakunin „für den alleinigen Urheber der abweichenden Meinungen und Positionen“ in der Internationale zu halten und „ihre ganze Gegenstrategie auf eine Kampagne gegen seine Person zu konzentrieren“ (S. 190). Léo tendierte in der Internationale, wie Virginie Barbet, eher zum libertär-anarchistischen Flügel, sie blieb aber mehr auf Distanz. Mit Bakunin lag sie zeitweise im Streit, weil sie auch im liberal-republikanischen Milieu um Bündnispartner und -partnerinnen warb, was für Bakunin eine Anbiederung an die „Bourgeoisie“ war.

Schließlich beschäftigt sich Schrupp mit Victoria Woodhull, die in den letzten Jahren zunehmend als wichtige Figur der US-amerikanischen Frauenbewegung gewürdigt wird. In die USA kam die Erste Internationale zunächst durch europäische Einwanderer, vor allem aus Deutschland und Frankreich, die meist nicht einmal englisch sprachen. Erst als sich ihr 1870/71 eine größere Zahl von US-amerikanischen Reformern anschlossen, fand die Internationale breitere Beachtung in der amerikanischen Öffentlichkeit. Für Aufsehen sorgte namentlich Victoria Woodhull, Spiritualistin, Sozialistin und Frauenrechtlerin, die als erste Frau für die Präsidentschaft der USA kandidierte und mit ihrer Schwester, Tennessee Claflin, eine eigene Broker-Firma an der Wallstreet und die Zeitung Woodhull and Claflin’s Weekly betrieb. Auseinandersetzungen zwischen einerseits US-Reformern und andererseits Emigranten, vor allem deutschen Marxisten, blieben nicht aus. Die New Yorker Sektion 12 wurde auf dem Haager Kongreß der Ersten Internationale – ähnlich wie James Guillaume und Michael Bakunin – aus der Internationale ausgeschlossen, wobei Karl Marx die entscheidende Rede gegen die US-Reformer hielt. Zur Gründung und Verbreitung der Internationale in den USA trug vor allem Victoria Woodhull bei. Die von ihr mitbegründete Sektion 12 verband klassische frauenemanzipatorische Forderungen (Wahlrecht, Veränderung der Geschlechterrollen, verbesserte Erwerbsmöglichkeiten für Frauen) mit sozialen Utopien und einem pragmatischen Verständnis von Aktionen der Arbeiterbewegung. Aus der Internationale ausgeschlossen wurden die US-Reformen um Woodhull vor allem aufgrund des Vorwurfes, keine Arbeiterorganisationen gewesen zu sein. Wie Schrupp zurecht meint, war dieser Vorwurf konstruiert, da auch in Europa viele Führungspersönlichkeiten nicht zur Arbeiterschaft zählten. Eine wichtige Rolle spielte aber auch die Frauenfrage. Sektion 12 nahm die politische und soziale Emanzipation der Frauen ins Programm auf und räumte dieser Forderung vor allem Priorität ein. US-Amerikaner konnten die Klassenkampfrhetorik der europäischen Internationalen nur schwer nachvollziehen. Sie gingen davon aus, daß durch die Partizipation der Benachteiligten an dem eigentlich guten politischen System der USA könnten die sozialen Probleme des Landes gelöst werden. Während die US-Amerikaner in den Kontroversen zunächst nur ein Mißständnis sahen, das durch „einige deutsche Intriganten“ geschürt worden sei, sahen die deutschen Marxisten demgegenüber die Gefahr einer bürgerlichen und reformistischen Unterwanderung der Internationale. Die Frauen, die sich in der Ersten Internationale engagierten, traten für eines neues Geschlechterverständnis ein und sahen in der Partizipation der Frauen eine zentrale Voraussetzung für eine weiterreichende Gesellschaftsveränderung. Schrupp kann man zustimmen, daß ihre Überlegungen von damals heute wieder in einem neuen Licht erscheinen. Es ist das Verdienst von Schrupp, darauf in höchst lesenswerter Weise aufmerksam gemacht zu haben.

[1]> Erwähnt seien Henryk Katz, The Emancipation of Labor. A History of the First International (New York 1992); Timothy Messer-Kruse, The Yankee International. Marxism and the American Reform Tradition 1848-1876 (Chapel Hill, London 1998). Vgl. zu letzterem Buch die Besprechung in diesem Band. Ferner John Breuilly, Gottfried Niedhart und Antony Taylor (Hrsg.), The Era of the Reform League. Englisch Labour and Radical Politics 1857–1872 (Mannheim 1995); Michel Cordillot, Eugène Varlin, chronique d’un espoir assassiné (Paris 1991).

[2] Die französische Forschung hat einerseits die Geschichte der einzelnen Sektionen intensiv untersucht und zum anderen mit dem Dictionnaire biographique du Mouvement ouvrier français (allein sechs Bände zur Periode von 1864 bis 1871) ein beeindruckendes biographisches Werk zur Geschichte der französischen Arbeiterbewegung und der Ersten Internationale geschaffen. Jüngst erschien der Dictionnaire biographique in einer aktualisierten und überarbeiteten CD-ROM-Fassung (siehe http://www.maitron.org).

[3] Jacques Rougerie, „Les sections françaises de l’Association Internationale des Travailleurs“, in: La Premiére Internationale. L’Institution – l’Implantation – le Rayonnement. Colloques internationaux du Centre National de la Recherche Scientifique. Paris. 16–18 Novembre 1964 (Paris 1968), S. 93-128. Ders., „L’A.I.T. et le mouvement ouvrièr à Paris pendant les événements de 1870–1871“, in: International Review of Social History, 17 (1972), S. 3-102.

[4] Samuel Bernstein, „The First International in France, 1864–1871“, in: ders., Essays in Political and Intellectual History, (New York 1955), S. 134–149, hier S. 136.

[5] D[avid] Rjazanov, „Zur Geschichte der Ersten Internationale. I. Die Entstehung der Internationalen Arbeiterassoziation“, in: Marx-Engels-Archiv 1 (1926), S. 119–202.

[6] Michel Cordillot, „Le Fouriérisme dans la section Parisienne de la Première Internationale (1865–1866)“, in: Cahiers Charles Fourier Nr. 3 (Mai 1992), S. 53–66.

[7] Michel Cordillot, „La Commission ouvrière de 1867“, in: Cahiers d’histoire de l’Institut de Recherches Marxistes Nr. 37 (avril-juin 1989), S. 49–59. Siehe auch ders., Eugène Varlin, a.a.O. (Anm. 1), S. 103-115.

[8] Vgl. Alain Dalotel, Alain Faure, Jean-Claude Freiermuth, Aux origines de la Commune. Le mouvement des réunions publiques à Paris 1868–1870 (Paris 1980). Gustave Lefrançais, Souvenirs d’un Révolutionnaire (Paris 1972), S. 241 ff. Eine Edition der zahlreich überlieferten Polizeiberichte über diese Versammlungen wäre sehr wünschenswert.

[9] Vgl. MEGA I/20, S. 613–622, 1687 ff. sowie S. 861 ff. Demgegenüber überschätzen die Bearbeiter des MEGA-Bandes I/20 deren Verbreitung, siehe ebenda S. 864, u. S. 1690 f. So erwähnen die MEGA-Bearbeiter zwar den Fund der Inauguraladresse bei Tolain, als dieser verhaftet wurde, aber auf seine Aussage vor Gericht, er sei wahrscheinlich der einzige in Frankreich, der sie besitze, wird nicht eingegangen.

[10] Vgl. Dalotel, Faure, Freiermuth, Aux origines de la Commune, a.a.O. (Anm. 8), S. 168–178.