Die Erste Internationale, gegründet 1864 in London, muß als eine der
Geburtsstätten des europäischen Sozialismus betrachtet werden.
Geleitet wurde diese Arbeitervereinigung von einem Genaralrat in London, der
von einem jährlichen Kongreß gewählt wurde.
Auf den Kongressen der
Internationale wurden in den 1860er Jahren die Grundforderungen diskutiert und
in Beschlüsse gefaßt, die über Jahrzehnte hinweg die Programmatik
sozialistischer und kommunistischer Bewegungen in Europa beeinflußten.
Begrenzung des Arbeitstages, Streiks, Nationalisierung von Grund und Boden.
Um die Bedeutung der Ersten Internationale zu beleuchten, sei nur auf die
Ergebnisse der Begriffsgeschichte hingewiesen. So trug die Erste Internationale
wesentlich dazu bei, daß der Begriff "international" in die Lexika und
Enzyklopädien des ausgehenden 19. Jahrhunderts aufgenommen wurde.
Erläuterungen Wilhelm Liebknechts von 1893 zu diesem Foto.
In der Forschung umstritten war immer vor allem die Frage nach der Rolle
von Karl Marx. Über diese Frage gab es nicht zuletzt einen deutsch-deutschen
Dauerstreit. War man sich in der "Regiekunst von Marx" (Werner Sombart, 1924)
zwar einig, so war man sich über den politischen und ideologischen Einfluß von
Marx auf die sich bildenden Arbeiterbewegungen äußerst uneinig.
Die westliche Forschung stellte die organisatorische und ideologische Vielfalt
der sich organisierenden Arbeiterschaften heraus.
Die marxistisch-leninistische Forschung behauptete demgegenüber einen
herausragenden und einzigartigen Anteil von Karl Marx und seiner Theorien
an der Bildung und der Politik der Ersten Internationale. Einseitig wurde die
Betonung auf den Sieg und die Ausbreitung des Marxismus gelegt.
Die Erste Internationale wurde als Beweis für die "historische Notwendigkeit
des Sieges des Marxismus über die verschiedenen Formen des kleinbürgerlichen
Sozialismus" herausgestellt.
Die Internationale blieb bis zu ihrer Auflösung 1872/76 eine lockere revolutionäre
Organisation, die in erster Linie den Zweck verfolgte, Kontakte zwischen den
Arbeiterbewegungen in den einzelnen Ländern herzustellen und die Voraussetzungen
für ein gemeinsames Handeln zu schaffen. Die Mitgliedschaft war außerordentlich
flexibel geregelt. Einen weitergehenderen Einfluß auf die einzelnen Sektionen,
die sich vielfach noch nach dem Sprachgruppenprinzip konstitutierten, konnte
die Londoner Zentrale, der Generalrat der Internationalen Arbeiterassoziation,
in keiner Phase erlangen. Marx selbst scheint zumindest am Anfang nicht daran
gedacht zu haben, die sich in den verschiedenen Ländern entfaltende Bewegung
in einen straffen ideologischen und organisatorischen Rahmen einzubringen. Ihm
war vornehmlich darum zu tun, die Anhänger der Internationale zur Anerkennung seiner
kommunistischen Theorie zu bringen, ohne freilich mehr als einen allgemeinen
ideologischen Rahmen für ihre Arbeit zu setzen. Die Internationale war somit vor allem
eine "lose Verbindung heterogener Gruppen mit mehr oder minder sozialistischer
Orientierung" (Georges Haupt). Fand sich Marx zunächst auch mit dieser
Vielfalt ab, so begann er gegen Ende der 1860er Jahre seine Konzeption zu ändern.
Von einem "intel-lektuellen Clearingzentrum" wollte er die Erste Internationale
zur "Funktion einer internationalen Parteiführung" machen, eine kämpferische
Klassenorganisation und politische Partei.
Für Karl Marx änderte sich mit dem Krieg von 1870 die machtpolitische Landkarte Europas entscheidend. Deutschland wurde von Rußland unabhängig und damit ein Zusammengehen von Frankreich und Deutschland zur Durchsetzung von Republik und sozialer Revolution möglich. Marx sieht erstmals für Europa ein grundlegende Veränderung der außenpolitischen Kräfteverhältnisse.